Impuls zum 22. August 2021
Von Monika Bossung-Winkler, Vorsitzende im pax christi-Diözesanverband Speyer
Wem dienen wir?
Zweimal kam für meine beiden Söhne die Postkarte „Wir dienen Deutschland“. Beide waren damals gerade 16 Jahre alt. Zweimal forderte ich von der Bundeswehr, ihre Adressen aus ihrem Verzeichnis zu löschen. Beim zweiten Mal trat ich der Kampagne „Unter 18 nie!“ bei.
Zuerst ärgerte ich mich, dass ich die Nicht-Weitergabe der Daten nicht schon vorher beantragt hatte. Aber vielleicht war es auch nicht schlecht, diese Werbung mal in der Hand gehabt zu haben. Bei meinem zweiten Sohn war es mitten in der ersten Corona-Welle und die Bundeswehr warb damit, wie sie half, die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Einer meiner Söhne brachte von der Berufsinformationsveranstaltung an seiner Schule das Material der Bundeswehr mit: eine „Reality-Brille“, um z.B. einen Fallschirmabsprung zu simulieren – damals war er in der 9. Klasse und davon fasziniert. Der andere erhielt in der Oberstufe die Einladung für den Vortrag des Jugendoffiziers. Ausgerechnet die beiden Freunde mit katholischer Prägung entschieden sich für eine berufliche Laufbahn bei der Bundeswehr. Mein Sohn war beim ersten „Corona-Abitur“-Jahrgang mit dabei und entschied sich unter dem Einfluss dieser Erfahrung für ein (ziviles!) Medizinstudium.
Während sich meine Schulfreunde den Zivildienst noch durch eine „Gewissensprüfung“ erkämpfen mussten, geht die Generation meiner Kinder freiwillig „zum Bund“. Und das, obwohl die Möglichkeit eines Kampfeinsatzes im Ausland mit allen physischen und psychischen Gefahren viel größer geworden ist.
Das Lied von Reinhard Mey „Nein, meine Söhne geb ich nicht“, fasst meine Gefühle in dieser Zeit der Pubertät und Berufsentscheidung gut zusammen. Das offizielle Liedprojekt ist auf YouTube zu finden:
Die Postkarte „Wir dienen Deutschland“ kam mir wieder in den Sinn, als ich den Text aus Jos 24 las.
Jos 24, 1-2a.15-17.18b
1Josua versammelte alle Stämme Israels in Sichem; er rief die Ältesten Israels, seine Oberhäupter, Richter und Listenführer zusammen, und sie traten vor Gott hin.
2Josua sagte zum ganzen Volk:
15Wenn es euch aber nicht gefällt, dem Herrn zu dienen, dann entscheidet euch heute, wem ihr dienen wollt: den Göttern, denen eure Väter jenseits des Stroms dienten, oder den Göttern der Amoriter, in deren Land ihr wohnt. Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen.
16Das Volk antwortete: Das sei uns fern, dass wir den Herrn verlassen und anderen Göttern dienen.
17Denn der Herr, unser Gott, war es, der uns und unsere Väter aus dem Sklavenhaus Ägypten herausgeführt hat und der vor unseren Augen alle die großen Wunder getan hat. Er hat uns beschützt auf dem ganzen Weg, den wir gegangen sind, und unter allen Völkern, durch deren Gebiet wir gezogen sind.
18bAuch wir wollen dem Herrn dienen; denn er ist unser Gott.
„Ich bin da für Euch“
Dieser Text beschreibt die „verfassungsgebende Versammlung“ Israels. Ob sie so jemals stattgefunden hat, ist dabei nebensächlich. Es geht um das Selbstverständnis des Volkes Gottes. In dieser Versammlung wird das Land aufgeteilt – dabei geht es um Gerechtigkeit. Jeder Stamm, jede Familie soll so viel haben, dass es zum Leben reicht. Niemand soll ungerechten Reichtum anhäufen.
Auch in diesem Text finden wir den Begriff „dienen“. Hier geht es nicht um einen Staat, dem man dienen soll. Es geht darum, welchem Gott man dient. Viele Götter der Amoriter oder auch der Ägypter waren Kriegsgötter. Sieg oder Niederlage in einer Schlacht oder einem Krieg waren auch die Siege oder Niederlagen des jeweiligen Gottes.
Die religiöse Urerfahrung Israels ist eine andere als die der „Völker“ – selbst wenn auch er manchmal als „Herr der Heerscharen“ bezeichnet wird.
Der Gott Israels ist Jahwe: „Ich bin da für Euch“. Er steht für Befreiung aus der Unterdrückung. Er steht für das friedliche Zusammenleben. Er steht für eine gerechte Verteilung der Güter. Der „Herr der Heerscharen“ steht für das Ende von Kampf und Krieg.
Ihm zu „dienen“ ist kein abstrakter Dienst wie „Deutschland dienen“. Es ist ein Dienst an Menschen. Auch wir als pax christi bieten einen Dienst an, den „Friedensdienst“. Er ist für junge Menschen – ein „Freiwilliges Internationales Jahr“.
In Oświęcim begleiten die Jugendlichen Besucher*innen der Gedenkstätte des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und halten so die Erinnerung an die Opfer der Shoa wach. Auf dem Balkan arbeiten sie mit marginalisierten Gruppen (z.B. Roma-Kindern) und unterstützen lokale Friedensorganisationen. In Bethlehem helfen sie bei interreligiösen und interkulturellen Projekten mit. In Ecuador unterstützen sie eine inklusive Schule in einem städtischen Randviertel der Küstenstadt Guayaquil oder die Projekte mit der ländlichen Bevölkerung der Andenprovinz Chimborazo. In Aachen arbeiten sie mit Menschen mit Behinderungen und unterstützen konkrete Projekte des Diözesanverbands von pax christi.
Ziele dieser Dienste sind soziale Gerechtigkeit, Versöhnung und Inklusion marginalisierter Menschen.
„Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde“
Unser Verständnis von Dienst wird gut ausgedrückt in einigen Strophen des Lieds von Ludger Edelkötter:
Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde
Ref.: Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde.
Heute wird getan oder auch vertan,
worauf es ankommt, wenn er kommt
1) Der Herr wird nicht fragen:
Was hast du gespart,
was hast du alles besessen?
Seine Frage wird lauten:
Was hast du geschenkt,
wen hast du geschätzt um meinetwillen?
3) Der Herr wird nicht fragen:
Was hast Du beherrscht,
was hast Du Dir unterworfen?
Seine Frage wird lauten:
Wem hast Du gedient,
wen hast du umarmt, um meinetwillen?
4) Der Herr wird nicht fragen:
Was hast Du bereist,
was hast Du Dir leisten können?
Seine Frage wird lauten:
Was hast Du gewagt,
wen hast Du befreit um meinetwillen?
5) Der Herr wird nicht fragen:
Was hast Du gespeist,
was hast Du Gutes getrunken?
Seine Frage wird lauten:
Was hast Du geteilt,
wen hast du genährt um meinetwillen?
8) Der Herr wird nicht fragen:
Was hast Du erreicht,
was hast Du Großes gegolten?
Seine Frage wird lauten:
Hast du mich erkannt?
Ich war dein Bruder um deinetwillen!
Für diese Dienste bitte wir um Gottes Segen: Jahwe – du „Ich bin da – für Euch“ begleite die Projekte dieser jungen Menschen: diejenigen, die in diesem Jahr schon ausreisen können und diejenigen, die für das nächste Jahr einen solchen Dienst planen. Darum bitten wir durch Christus, unseren Bruder. Amen.